Hit the Road Lübeck - 57. Nordische Filmtage Lübeck (Teil 1)

Die Nordischen Filmtage 2015 halten uns den Spiegel vor Augen. Wir sehen Königinnen, Kriege, sture Böcke, Demente, Verliebte und zuweilen fast alles auf einmal in Personalunion

von Peer Kling und Silke Möller-Wenghoffer

Seit 1956 kann man jedes Jahr Anfang November in Lübeck die Nordischen Filmtage erleben. Dieses Festival zeichnet sich durch sein stetig wachsendes Publikum und ein breites Spektrum an Filmen aus Skandinavien, dem Baltikum und Norddeutschland aus. Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme, Kinder- und Jugendfilme und ältere Produktionen im Rahmen der Retrospektive werden sorgfältig ausgewählt und in einem engagierten Rahmenprogramm vorgestellt. Wie jedes Jahr waren auch diesmal wieder historische Schätzchen zu entdecken, passend zum Retrospektive-Thema "Nordlandreisen", Roadmovies im weitesten Sinne, auch zur See. So waren in einer Ausstellung Fotografien und im Kino Filmaufnahmen des deutschen Bordfotografen der Norddeutschen Lloyd, Richard Fleischhauer, zu sehen. Er dokumentierte in den 20er Jahren Kreuzfahrten mit dem Ziel nördliches Europa. Fleischhauers Enkeltochter fand beim Aufräumen altes Filmmaterial auf dem Speicher und kümmert sich nun gemeinsam mit dem deutschen Bundesarchiv um die Restaurierung. Zu sehen sind Filmszenen eines begeisterten Beobachters, der durch das Einfangen des an sich banalen Lebens an Bord wie das Spielen zum Zeitvertreib, das Kaffee trinken oder den Blick auf die endlosen, faszinierenden Wellen, die in der Betrachtung heute vor allem historischen Wert haben.

Warum mögen wir die Nordischen Filmtage in Lübeck so sehr? Weil wir uns gerne mit dem Geruch von Marzipan und heißer Schokolade in historischen Gebäuden innerhalb eines vom UNESCO Weltkulturerbe geschützten Ambientes einstimmen lassen auf ein Konzentrat von Filmerlebnissen, die es in dieser Form nur dort gibt. Auch wollen wir beide unser Schwedisch verbessern und so dienen uns die Filme im Original mit Untertiteln als willkommener Sprachkurs. Allerdings gab es dieses Jahr in dieser Hinsicht ein Problem, denn abgesehen von einigen Beiträgen im Kinder- und Jugendbereich oder aus der Retrospektive, gab es nichts Spektakuläres aus dem Land unserer Träume.

Königinnen
Aber an der schwedischen Geschichte, die von der gesamteuropäischen kaum zu trennen ist, sind wir ebenso interessiert. In dieser Hinsicht wurden unsere freudigen Erwartungen erfüllt. Es ist immer interessant ein Thema aus zwei Blickwinkeln zu beobachten. Ein Spielfilm und ein Dokudrama widmeten sich einer der bedeutendsten Frauengestalten des Nordens, die sich übrigens in ihrer zweiten Lebenshälfte ganz dem Süden, genauer Italien zuwandte. Sie ist bekannt unter dem Namen Christina und war von 1632 bis 1654 Königin von Schweden. Als Tochter von Gustav, dem II Adolf, einer der Hauptakteure des Dreißigjährigen Krieges war sie maßgeblich beteiligt am Westfälischen Frieden, was sie nicht daran hinderte später einige ihrer Widersacher ins Jenseits befördern zu lassen. Von der schwedischen Geschichtsschreibung wurde sie lange versteckt, weil sie dem Land als "Landesverräterin" und Religionsflüchtling peinlich war. Die Frauenbewegung hat sie seit den 70er Jahren als eine starke und selbstbewusste Persönlichkeit mit unkonventioneller Lebensart und Denkweise für sich entdeckt.

Für die Regie des Spielfilms unter dem Titel The Girl King zeichnet kein anderer als Mika Kaurismäki verantwortlich, der es sich nicht nehmen ließ, sein Filmpublikum in Lübeck persönlich zu begrüßen und zwar auf Deutsch. Er hat bisher über 30 Filme gedreht, ist aber dennoch in Deutschland etwas weniger bekannt als sein Bruder Aki. Dafür kann er aber wohl die hiesige Sprache besser. Schließlich hat der 1955 in Finnland geborene Regisseur von 1977 bis 1981 an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert. "Wieso einen Film über eine schwedische Königin?" wurde er gefragt. "Sie war ja auch unsere Königin." lautet die schlüssige Antwort des Finnen. "Es war in einer Bar von Rio de Janeiro als ich gefragt wurde, ob ich nicht diesen Film drehen wolle", ergänzt er. Es folgte ein 15 Jahre andauerndes Hin und Her mit verschiedenen Drehbuchautoren. Der Festival-Deutschlandpremiere des schließlich in 38 Drehtagen mit einem Budget von 6,5 Millionen Euro entstandenen und mit wunderbaren Schauspielern besetzten historischen Kostümfilms folgt der bundesdeutsche Kinostart leider erst am 21.07.2016. Aber besser spät als nie. Und noch etwas: Dieser Film wurde für das Kino geschaffen, KINO, ohne die Vorsilbe Pantoffel-.

Malin Buska als Christina von Schweden in dem Film The Girl King


Weitere Infos zum Spielfilm The Girl King von Mika Kaurismäki, Finnland 2014 Trailer: http://www.filmstarts.de/kritiken/207819/trailer/19549354.html

Video-Notizen zur Produktion von The Girl King:
http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/inhalt/film-und-serie/girl-king-mika-kaurismaeki-film-100.html



Anders als der Spielfilm, der sich auf die Zeit Christinas in Schweden beschränkt, betrachtet das Dokudrama Christina Wasa - Die wilde Königin von Wilfried Hauke den gesamten Lebenszeitraum der Ausnahmefrau, also auch die spätere Zeit jenseits der schwedischen Regentschaft im südlichen Europa, besonders in Rom, in dem sie übrigens nach ihrem Übertritt zum Katholizismus als Maria Alexandra firmierte. Neben gut gespielten Szenen lässt Hauke auch Experten zu Wort kommen, die fundierte Einschätzungen dieser in sich doch sehr widersprüchlichen Persönlichkeit beisteuern.

Die "echte" Christina von Schweden in einem frühen Porträt eines unbekannter Hofmalers um 1640


Wilfried Hauke ist in Lübeck kein Unbekannter. Sein Doku-Drama Eine königliche Affäre rund um das tragische Dreieck aus Königin Caroline Mathilde, ihrem verrückten Gemahl Christian und dem Arzt Johann Friedrich Struensee ist uns wie ein Teil 1 einer Skandinavisch-Europäischen Geschichte in guter Erinnerung. Auch damals erschien fast parallel eine Spielfilmversion: Die Königin und der Leibarzt. Dürfen wir auch in Zukunft auf derartige Double-Features hoffen? "Teil 3" wäre uns ein Vergnügen.

Es sei noch auf die 1933 in die Lichtspielhäuser gebrachte fiktive Biographie Königin Christine (OT: Queen Christina) mit Greta Garbo in der Hauptrolle verwiesen. Diese Version pickte lediglich einige Rosinen aus der Wirklichkeit und versüßte den Rest der Geschichte verkaufsorientiert. Angesichts der Weltwirtschaftskrise, die 1933 ihren Höhepunkt erreichte, trug der Film entscheidend dazu bei, dass MGM auch in jenem Jahr einen Profit aufwies, wenn auch Queen Christina innerhalb der USA nur die Hälfte der Produktionskosten wieder einspielte und der Gewinn "abroad" erwirtschaftet wurde. Bei der Planung für den Film suchte man weniger eine Darstellerin für den Stoff, als umgekehrt einen Stoff für die Darstellerin Greta Garbo im amerikanischen Kino. Denn die Diva drohte damit, endgültig die USA zu verlassen und nach Schweden zurückzukehren.

Wikipedia-Eintrag zu dieser Film-Version: https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigin_Christine_%28Film%29