"Pelo Malo" von Mariana Rondón

Der Film Pelo Malo (Bad Hair, Schlechtes Haar) von Mariana Rondón aus Venezuela kommt hierzulande soeben in die Kinos

Von Karin Latour & Peer Kling



Im Kino haben sich ja längst unzählige Genres etabliert. Wir kennen Zugehörigkeiten zu Western, zur Schwarzen Serie, zu Komödien oder Krimis. Moviepilot hat zum Thema Haare im Film eine eigene Gattung eingerichtet. Darunter finden sich Filme wie: Rapunzel - Neu verföhnt oder Heute bin ich blond. Seltsamerweise fehlt Fell - ein imaginäres Portrait von (der berühmten Fotografin) Diane Arbus mit Nicole Kidman und Robert Downey Jr. in den Hauptrollen. "Haarige" Filme entspringen nicht selten dem Genre des Horrorfilms. Meist geht es dabei wie etwa in American Werewolf um ganzkörperbehaarte Wesen. Zu Urzeiten versprach dieses Merkmal einen Überlebensvorteil.

Pelo Malo (Bad Hair, Schlechtes Haar) von Mariana Rondón sticht als völlig neue Variante heraus aus dieser thematischen Klammer der langen Hornfäden, die im Wesentlichen aus Karotin strukturiertem Protein bestehen. Der neunjährige "Junior" lebt in einer Ghetto-Hochhaus-Landschaft und leidet unter seinen krausen Haaren, die in dieser Umgebung ein Alleinstellungsmerkmal bedeuten. Er wird gehänselt und damit zum Außenseiter. Er kann schlecht ein Kopftuch anziehen und es nutzt ihm herzlich wenig, dass seine Haarpracht zwischen dem jungen Michael Jackson und Jimmy Hendrix anzusiedeln ist. Er hat sie von seinem verstorbenen afrikanischstämmigen Vater geerbt. So ist der Film auch ein universelles Plädoyer für Toleranz.



Die Frisur gilt als Metapher, stellvertretend für die ganze Persönlichkeit. Der Junge ist auf der Suche nach seinem eigenen Ich. Etwas weiter über den Tellerrand hinwegsehend, läßt sich sagen, was da "an den Haaren herbei gezogen" wurde, ist eigentlich ein ganz anderes Thema. In diesem Film geht es hintergründig um ein realistisches Bild im täglichen Überlebenskampf des harten Alltags in Caracas, der Haupt- und mit über 2,1 Millionen Einwohnern zudem größten Stadt Venezuelas.

Mit seiner Mutter kommt es, um das Wort Duell zu vermeiden, zu einer doch recht scharfen und anhaltenden Form des Kräftemessens. Während in der reichen Welt sowohl Shampoo-, Chemie- und Pharmaindustrie im Haarbereich gut verdienen, besinnt sich der Junior auf Hausmittel und schmiert sich nacheinander Speiseöl, Mayonnaise und Avocodacreme in die Haare in Abwechslung zur Wasser-Föhn-Therapie seiner afrikanischen Großmutter. Das erklärte Ziel sind glatte Haare. Nicht mehr gehänselt werden! Dazu gehören!
Die einzige Sorge der Mutter dagegen ist, er sei schwul. Sie selbst demonstriert jedenfalls ausgiebig, und nicht gerade diskret, dass sie nicht lesbisch ist. Zum Teil ist es wohl auch nur Mittel zum Zweck. Ihr Chef darf ran, damit sie ihren Posten als Polizistin wiederbekommt. Soviel zum Chaos.
Junior steht zudem in Konkurrenz zu "Baby", dem von der Mutter bevorzugt behandelten Kind mit glatten Haaren, offensichtlich "nicht von meinem Sohn", wie die Großmutter bemerkt.

Ein Film voller Blicke - Junior und seine Mutter in Pelo Malo
Foto: Verleih

Der Film besticht durch treffende prägnante Dialoge. Vieles spielt sich aber nonverbal ab in Blicken, Gesten, Körperhaltungen, der Art zu Gehen und im Gesichtsausdruck. Das Zusammenspiel der Schauspieler/innen ist sehr überzeugend und wirkt wie direkt aus dem Leben gegriffen. Besonderes Lob den Darsteller/inne/n des Junior (Samuel Lange Zambrano), der Mutter Marta (Samantha Castillo) und der Großmutter (Nelly Ramos).

Die Regisseurin Mariana Rondón ist hierzulande noch nicht bekannt, zu Unrecht. Sie ist 1966 in Caracas, Venezuela geboren und hat als Studierende in Paris und auf Kuba ihr filmisches Können erworben. Ihr erster Spielfilm war das 1999 erschienene Drama A la media noche y media und wurde auf über 30 internationalen Festivals gezeigt. Der 2007 entstandene Spielfilm Postales de Leningrado ging als venezolanischer Kandidat als bester fremdsprachiger Film bei der Oscarverleihung ins Rennen. In diesem Film geht es um Kinder, die während der Guerillas im Venezuela der 1960er Jahre aufwachsen. Ihr neuester Film Pelo Malo wurde auf verschiedenen Filmfestivals der ganzen Welt gezeigt und erhielt in San Sebastian den Hauptpreis der Jury. Das Drama, das zwischen Sorge, Aggression und zärtlicher Zuwendung changiert, ist mit Unterstützung des World Cinema Fond in Koproduktion der Länder Argentinien, Deutschland, Peru und Venezuela schon 2013 entstanden und kam erst jetzt am 31.03.2016 in die deutschen Kinos. Gut Ding will Weile haben?


Fifty-Fifty - Junior zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Foto: Verleih