Morgen startet die 68. BERLINALE

Die Filmfestspiele Berlin werden erstmalig mit einem Trickfilm eröffnet

Von unseren Berlinale-Korrespondenten Peer Kling und Elisabeth Niggemann

Zum ersten Mal in der Geschichte der Berliner Filmfestspiele eröffnet mit Wes Andersons „Isle of Dogs“ ein Animationsfilm die Berlinale. Das Publikum scheint sehr gespannt auf die Berliner Weltpremiere, denn allein schon der Trailer fand bereits an die zwölf Millionen Zuschauer und hat über 7000 Personen zu Kommentaren veranlasst. In den USA kommt der Film am 23. März in die Kinos. Die deutschen Kinofans müssen sich bis zum 10. Mai gedulden. Der deutsche Verleihtitel wird „Isle of Dogs – Ataris Reise“ sein. In dem Stop-Motion-Animationsfilm sucht der japanische Junge Atari auf einer Insel evakuierter Hunde nach seinem geliebten verlorenen Haustier.
Die Handlung beginnt in Japan 20 Jahre in der Zukunft. Dem zwölfjährigen Atari Kobayashi kommt sein Hund abhanden. Daraufhin macht sich das junge Herrchen auf die Suche nach seinem heiß geliebten Vierbeiner. Es wird eine Reise voller Abenteuer und Gefahren, denn um seinen verlorenen Freund zu finden, begibt sich der Junge per Flugzeug auf jene verseuchte Quarantäne-Insel, auf die alle Hunde nach einer Plage und anschließenden Hundegrippe ausgesetzt wurden.

Zum Glück erhält Atari bei seiner Suchaktion auf der Insel der Hunde Unterstützung von Rex (Edward Norton), Duke (Jeff Goldblum), Boss (Bill Murray) und Chief (Bryan Cranston). Die in Klammern gesetzten Schauspieler sprechen die Figuren der amerikanischen Filmversion. Außer Bryan Cranston haben sie bereits alle in anderen Wes Anderson-Filmen mitgewirkt.
Der am 1. Mai 1969 in Houston geborene Wes Anderson zeichnet sich durch eine Kombination von formaler Strenge und erzählerischer Leichtigkeit gepaart mit einer von skurrilen Gestalten verkörperten unbändigen Fantasie aus. Mit „Grand Budapest Hotel“ hat er 2014 schon einmal eine Berlinale eröffnet. 2001 war sein „Die Royal Tenenbaums“ erschienen. In seinem Film „Der fantastische Mr. Fox“ trat er bereits 2009 mit einem Stop-Motion-Trickfilm in Erscheinung. Anderson ließ sich für „Isle of Dogs“ vom japanischen Kino und speziell von Yasujiro Ozu, zu dessen glühenden Verehrern auch Wim Wenders zählt, inspirieren. In Andersons bisherigen Filmen hatten Hunde schlechte Karten. Bei den „Royal Tenenbaums“ wird ein Welpe überfahren und in „Moonrise Kingdom“ beendet ein Pfeil das Leben eines Hundes. Aber das wird sich ja nun ändern. Zu den beliebtesten Stop-Motion-Filmen gehören bisher die Wallace & Gromit Abenteuer. Wie lange wird es wohl dauern bis Isle of Dogs ihnen den Rang abläuft?


Der Animationsfilm „ISLE OF DOGS“ von Wes Anderson eröffnet die 68. Berlinale
Foto: Berlinale, © 2017 Twentieth Century Fox

Der Regisseur von „ISLE OF DOGS“ Wes Anderson
Foto: Berlinale

In diesem Jahr gehen 19 Filme in das Rennen um den Goldenen Bären. Unter den Wettbewerbsfilmen befinden sich auch vier Produktionen aus Deutschland, die wir einmal näher betrachten wollen.

Zu den deutschen Kandidaten gehört auch wieder Christian Petzold. Als 2012 die Mechanik des Terrors den Wettbewerb als zentrales Thema dominierte, leistete er mit "Barbara" einen Beitrag über Angst und Überwachung. Nun geht er mit dem Flüchtlingsdrama "Transit" an den Start. Sein achter Kinofilm, mit Franz Rogowski und Paula Beer in den Hauptrollen, orientiert sich frei an dem gleichnamigen Weltkriegs-Roman von Anna Seghers. Regisseur Petzold verlegt die Geschichte ins heutige Frankreich. Der politische Flüchtling Georg entgeht in Paris seiner Verhaftung und gelangt in den Besitz der Ausweispapiere des toten Schriftstellers Weidel, dessen Identität er annimmt. Nach Marseille geflüchtet, hofft er mit politischen Gesinnungsgenossen zusammenzutreffen. Stattdessen begegnet ihm Marie, die Witwe des toten Schriftstellers. Sie ist unwissend über das Schicksal ihres Ehemanns und wartet schon seit Wochen auf diesen, um gemeinsam nach Südamerika auszuwandern. Georg verheimlicht Marie die Wahrheit und beide beginnen eine leidenschaftliche Affäre...
Wir sind gespannt auf diesen Film, insbesondere ob er Parallelen zu dem von uns sehr geschätzten Film „Frantz“ von François Ozon haben wird.
„Transit“ war das gemeinsame Lieblingsbuch von Petzold und seinem Filmemacher-Freund Harun Farocki. Beide haben den autobiografischen Seghers-Roman jedes Jahr aufs Neue gelesen. Petzold erkennt in dem „In-die-Welt-Geworfensein“ seine eigene Geschichte wieder. Er und der 2014 verstorbene Farocki entwarfen zunächst eine gemeinsame Drehbuchfassung, die sich stilistisch eher an dem französischen Nouvelle-Vague-Film „Außer Atem“ (1960) von Jean-Luc Godard orientierte. Später ließ Petzold diesen Gedanken fallen und schrieb ein eigenes Drehbuch, wonach der Film von Mai bis Juli 2017 an Originalschauplätzen in Marseille gedreht wurde. Petzold begreift die Hafenstadt als „Tür“ zur Welt, aber auch als ein „Gefängnis“ für die Flüchtenden in seinem Film.
Der deutsche Kinostart ist für den 5. April 2018 geplant.


Paula Beer und Franz Rogowski übernehmen die Hauptrollen in dem Film „TRANSIT“ von Christian Petzold
Foto: Berlinale, © Schramm Film / Marco Krüger


Christian Petzold, der Regisseur von „TRANSIT"
Foto: Berlinale, © Schramm Film / Marco Krüger
Franz Rogowski spielt noch eine Hauptrolle in einem weiteren Wettbewerbsfilm: Regisseur Thomas Stuber erzählt in dem Liebesdrama „In den Gängen“ von einer Beziehung zwischen zwei Menschen, die auf der Verliererseite stehen. An der Seite von Rogowski agiert Sandra Hüller, eine der wandlungsfähigsten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Theater und Film („Requiem“ (2006), „Der Architekt“ (2008), „Über uns das All“ (2011), „Toni Erdmann“ (2016)).

In den Gängen“ eines Großmarktes, so auch der Filmtitel, verliebt sich der zurückhaltende Gabelstapler-Fahrer Christian (Franz Rogowski) in seine Süßwaren-Kollegin Marion (Sandra Hüller).
Foto: Berlinale-Filmplakat

Der Film basiert auf der gleichnamigen Erzählung von Clemens Meyer. Das Drehbuch entstand gemeinsam mit seinem Freund Thomas Stuber und wurde während der Berlinale 2015 mit dem Deutschen Drehbuchpreis ausgezeichnet. Die beiden Leipziger haben bereits mehrfach zusammengearbeitet, unter anderem bei dem Überraschungserfolg „Herbert“. Clemens Meyer wurde bekannt mit dem Wenderoman „Als wir träumten“, dessen Verfilmung unter der Regie von Andreas Dresen 2015 im Berlinale-Wettbewerb zu sehen war.

In dem in Schwarz-Weiß gedrehten Porträt „3 Tage in Quiberon“ zeichnet Filmemacherin Emily Atef das L(i)ebensdrama von Romy Schneider nach. Die Titelrolle übernimmt die 1969 in Düsseldorf als Architektentochter geborene Marie Bäumer, die seit ihrem Durchbruch mit Detlev Bucks „Männerpension“ (1995) mit rund 50 TV- und Kinoproduktionen ihr Publikum erfreute. Sie lebt schon lange nicht mehr an der Düssel, sondern in einem Dorf in der Provence nicht weit von Avignon. Neben ihrer Muttersprache Deutsch spricht sie fließend Französisch, Englisch und Italienisch. Mit von der Partie sind: Birgit Minichmayr und Charly Hübner. Kinostart: 12.4.2018


Marie Bäumer in dem Romy-Schneider-Biopic „3 Tage in Quiberon“ in der Regie von Emily Atef
Foto: Berlinale / © Rohfilm Factory / Prokino / Peter Hartwig

Als vierter deutscher Kandidat geht das Familiendrama „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ von Philip Gröning ins Rennen, der bei seinem sechsten Langfilm auch für´s Drehbuch und die Produktion verantwortlich zeichnet. Im Mittelpunkt der Handlung stehen 48 Stunden im Leben eines jugendlichen Zwillingspaares. Die 19-jährige Elena, gespielt von Julia Zange, bereitet sich auf ihre mündliche Abiturprüfung im Fach Philosophie vor. Ihr Zwillingsbruder Robert, gespielt von Josef Mattes unterstützt sie. Als Lernort dient die ländliche Tankstelle, in der beide viel Zeit verbracht haben. Die Geschwister verbindet eine Hassliebe miteinander. Elena ist intelligent und beherrschend und bezeichnet ihren Bruder als dumm. Robert sehnt sich danach, die Provinz zu verlassen. Das Verhältnis der beiden wird noch durch Roberts Liebe zu Elenas bester Freundin Cecilia verkompliziert. Rituale, Zwillingsspiele, Wetten, Ausbrüche von Hass und zärtlicher Nähe sowie ein philosophischer Diskurs, speziell zu den Thesen aus Martin Heideggers Hauptwerk „Sein und Zeit“ wechseln sich ab. Sowohl Elena als auch Robert ist bewusst, dass der bisherige Lebensabschnitt bald enden wird und sich ihre Wege trennen werden.
Wir erwarten diesen Film mit Spannung. „Sein und Zeit“ habe ich, Peer, gelesen, aber nie verstanden, zwar jedes Wort, aber die Sätze im Zusammenhang nicht, weil die Bedeutung der Wörter bei Heidegger eine ganz andere ist als im alltäglichen Sprachgebrauch. Vielleicht gibt mir der Film ja eine zweite Chance. Sehr beeindruckt hat mich Grönings Dokumentarfilm aus dem Jahre 2005 über ein Schweigekloster, den ich beim größten niederländischen Filmfestival der Niederlande in Rotterdam in einem fast leeren Kino sah: „Die große Stille“, belohnt mit dem Europäischen Filmpreis. Bei dem fast dreistündigen Film ohne Pause bekam ich fast das Gefühl, als sei ich selbst dem Schweigekloster beigetreten.


„Die Zwei von der Tankstelle“ verlieren in „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ als Zwillinge den Draht zueinander und werden künftig getrennte Wege gehen.
Foto: Berlinale / © 2017 Philip Gröning

Den Vorsitz der international besetzten Jury übernimmt dieses Jahr der deutsche Regisseur, Drehbuchautor, Filmkomponist und Produzent Tom Tykwer. Er vermisst, wie er dem Nachrichtenmagazin „Focus“ anvertraute „wilde und sperrige Filme“. Als Grund dafür sieht er „eine Verschiebung zum Spektakel und ein Primat der Wirtschaftsförderung sowie eine Tendenz mancher Filmschulen zur Hochglanzkultur, Technikversessenheit und Veredelungsästhetik, die mit Filmemachen eigentlich nichts zu tun hat.“ Einen Heimvorteil möchte er den deutschen Beiträgen nicht einräumen.

Zehn Tage lang ist Berlin der supraleitende Magnet für Filmleute aus aller Welt. Die Leute der „Branche“ sind ohnehin schon vor Ort. Also macht es Sinn, neben der Berlinale selbst auch Parallelveranstaltungen auf- und anzubieten. So lädt der Verband der deutschen Filmkritik am Aschermittwoch also einen Tag vor Beginn der Filmfestspiele zur Auftaktkonferenz der „Woche der Kritik 2018“. Hinter dem so einfallsreichen wie vielleicht auch etwas irreführenden Titel: „MALEN NACH ZAHLEN?“ wollen die Veranstalter der Frage nachgehen: Wie denken Filmemacher, Filmförderer und Kinobetreiber über das Publikum? Bei den „Zahlen“ geht es zum einen um´s Geld, worum auch sonst? Es geht also um Fördergelder und um Produktionskosten. Dagegen gerechnet werden zum anderen immer die Besucherzahlen oder anders ausgedrückt die Einspielergebnisse. In der Filmkunst wie überhaupt im Kulturbetrieb sind Rangeleien um das liebe Geld ein steter Begleiter des Schaffensprozesses der Kreativen. Projekte scheitern, weil sie niemand bezahlen kann oder will. Die einen regen sich auf, weil der Geldhahn zugedreht bleibt und ihr Kreativitätspotenzial nicht zur Entfaltung kommt. Die anderen reden von Verschwendung, wenn großzügig Fördergelder für ein in ihren Augen überflüssiges Vorhaben fließen.
Jüngst hat die Filmförderungsanstalt (FFA) beschlossen, fast nur noch Filme zu finanzieren, die von mindestens 250.000 Zuschauer/inne/n im Kino gesehen werden – als vorausgeschickte Erwartung. Eine gute Gelegenheit, einmal offen danach zu fragen, wie in Deutschland und international über das Publikum nachgedacht wird. Immerhin nennt sich auch die Berlinale immer wieder Publikumsfestival. Welche Auswirkungen kann es im Positiven wie Negativen haben, Besucherzahlen als Erfolgskriterium für künstlerische Arbeiten zu setzen? Und wie lässt sich Publikum überhaupt für Kino begeistern? Mit dabei sind: Christian Bräuer, Geschäftsführer der Berliner Yorck Kinos und Mitinitiator der neuen Leitlinien der FFA; Anna de Paoli, Filmproduzentin („Der Samurai“, „Dr. Ketel“) und Leitende Dozentin im Studiengang „Produktion“ an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin; die ehemalige Produzentin Maria Köpf, jetzt Geschäftsführerin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein; Stephan Wagner, Regisseur („Die Akte General“, „Der Stich des Skorpion“) und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Regie.


Bei der Woche der Kritik geht es vor allem um die Kino-Zuschauer, die sich, wie hier im Bild zu sehen, besser ein blechernes Kleid als Rüstung zulegen sollten.
Foto: Veranstalter, Bildquelle: HAZ-Hauschild-Archiv, Historisches Museum Hannover