Den großen Preis der Jury unter dem Vorsitz von Schauspielerin Tilda Swinton teilten sich "Gigante" (Uruguay) von Adrián Biniez und "Alle anderen" (Deutschland) von Maren Ade. Eine sprichwörtliche Teilung nach Art des Mantels von St. Martin war allerdings nicht zu befürchten, natürlich ging bei der Preisverleihung der 59. Internationalen Filmfestspiele Berlin im Berlinale Palast am Potsdamer Platz je ein kompletter Silberner Bär als großer Preis der Jury an die beiden Preisträger.
"Gigante"
In der ungewöhnlichen Liebeskomödie aus Montevideo in Uruguay nähert sich der scheue Wachmann Jara (Horacio Camandule) dem anderen Geschlecht mit Hilfe der Überwachungselektronik. Er ist mehr der Stalker als der "Walker", der schnurstraks auf sein Target drauf zu geht, eben kein "Talker". Dem schwergewichtigen Mann fehlt der Mut sein Gegenüber anzusprechen.
Der ausgezeichnete Debütfilm spielt mit unserer Erwartung, hat etwas Bedrückendes (wenn das heimliche unheimlich wird) und wird uns dennoch bezaubern.
Der 34-jährige argentinische Autor und Regisseur Adrián Biniez geht formal und inhaltlich unbeirrt seinen eigenen Weg auf dem Grat zwischen komischem Drama und dramatischer Komödie. Er irritiert und zwingt zum Umsortieren im Schubladendenken. Wenn die gewohnten Konfektionsgrößen der großen Konventionen unpassend wirken ist dies nicht gleich ein Fall für die Polizei. Einerseits lakonisch, zum andern mit großem Einfühlungsvermögen geht er mit uns als Zuschauer seinen eigenwilligen Weg durch den Film. Ab welcher Marke verlangt es nach der Instanz, die das Ver-rückte gerade rückt?
Bilder aus "Gigante" von Adrián Biniez:


"Alle anderen" ist der zweite Spielfilm von Maren Ade. Er lief im Berlinale Wettbewerb und neben dem Silbernen Berliner Bären als großer Preis der Jury gab es gleich noch mal Silber für die Hauptdarstellerin des Films, Birgit Minichmayr in der Rolle der Gitti.
Schon Maren Ades Erstlingswerk "Der Wald vor lauter Bäumen", zugleich Abschlußfilm an der Hochschule für Film und Fernsehen in München wurde mit dem Babelsberger Medienpreis für den besten Absolventenfilm 2004 ausgezeichnet und von ausländischen Festivals mit Preisen dekoriert.
In beiden Filmen geht es um eine zunehmende Vereinsamung aus Angst vor der Gesellschaft und vor sich selbst. Die vehemente Zustimmung und auch Ablehnung der Zuschauer resultiert wohl daraus, dass sich Personen in den Filmfiguren wiedererkennen.
Es gibt die Bereitschaft der Zuschauer Mitleid zu zeigen, sogar regelrecht mitzuleiden, in dem sie der Identifikation mit den dokumentarisch echt gespielten Filmfiguren nachzugeben und somit die Misere im Film mit dem eigenen Übel vergleichen.
Ebenso trifft man auf komplette Ablehnung oder Verweigerung, derartige Filme an sich heranzulassen.
In "Alle anderen" geht es um ein junges Paar, das im sardischen Feriendomizil von Chris Eltern eine Auszeit sucht, um sich zu finden. Doch leider sind die Ansätze, die Charaktere, die Einstellungen und die Verhaltensweisen so diametral, dass sich kein gemeinsamer Nenner ergibt. Ähnlich wie bei der Walser-Verfilmung des "Fliehenden Pferdes" durch Jochen Hieber führt das plötzliche Auftauchen eines weiteren Paares zu Anstrengungen der Veränderung. Doch gereichen diese zum Vorteil …?
Birgit Minichmayr bekam für die Rolle der Gitti den Silbernen Bären, Lars Eidinger, der nicht schlechter spielt, wurde diese Ehre nicht zuteil. Aber für den 33jährigen, ursprünglich ganz dem Theater zugewandten Schauspieler entwickelte sich diese erste Kinorolle zu einer Art Initialzündung. Früher rief die Agentur höchstens einmal die Woche an, heute mehrmals am Tag. In "Polizeiruf 110" wickelt er nun an der Seite von Fritzi Haberlandt dubiose Geschäfte mit der osteuropäischen Metall-Mafia ab. Und für den Hessischen Rundfunk dreht er mit Nicolette Krebitz und Devid Striesow, seinem alten Studienkumpel von der Berliner Schauspielschule Ernst Busch, die Dreiecksgeschichte "Verhältnisse". Wir werden sehen.