Baguette, Jeanette, cigarette und vor allem du rouge auf der Berlinale – O-la-la!

Von unseren Berlinale-Korrespondenten Peer Kling & Elisabeth Niggemann


SAINT AMOUR Filmplakat
Foto: Verleih


Gérard Depardieu war gar in zwei Berlinale-Filmen vertreten. Im Forum lief THE END von Guillaume Nicloux. Darin verkörpert die massige Physis des beliebten französischen Schauspielers in grünem Jäger-Outfit und in Begleitung eines Jagdhundes den Mittelpunkt einer seltsamen Erzählung zwischen Mysterium und Märchen, die ihre Rätsel im französischen Wald aufgibt, worin sich die Hauptfigur verläuft. Als Zuschauer bedarf es der Phantaise, um nicht ebenfalls die Orientierung zu verlieren. Mit dem Schwinden der Insignien der Zivilisation, sprich Jagdgewehr und Handy kommt immer mehr sein kreatürliches Antlitz zum Vorschein. Mehr wird nicht verraten.

In SAINT AMOUR, der außer Konkurrenz im Wettbewerb gezeigt wurde, spielt Depardieu den Vater Jean, der zusammen mit seinem Sohn Bruno (Benoît Poelvoorde) als Höhepunkt des Jahres die Landwirtschaftsausstellung in Paris besucht. Der Film nutzt diesen ländlichen Hintergrund, um einer Vater-Sohn-Beziehung näher auf den Grund zu gehen. Im Film spricht der Vater immer wieder auf den Anrufbeantworter seiner Frau. Es dauert eine Weile, bis wir als Zuschauer merken, dass dies der Trauerbewältigung geschuldet ist. Sie ist gar nicht mehr am Leben. Der Film untersucht die Träume und Hoffnungen der beiden ungleichen Männner. Konfliktpotential gäbe es genug. Die Ziele sind eher diametral. Der Vater hat nur eines im Sinn. Er setzt alles daran, dass sein Zuchtbulle mit dem seltsamen Namen Nabuchodonosor den ersten Preis gewinnt. Hoch sind auch die Erwartungen an seinen Sohn, der sich allerdings viel lieber darauf konzentriert, keinen einzigen Stand auszulassen bei den Weinproben seiner imaginären Frankreichtour auf der Messe. Für seinen Zustand, "complètement bourré" (total blau), hätten ihn andere Väter enterbt, doch der massige Jean hat auch ein großes Herz und so wendet sich der Film zum Roadmovie. Aus der imaginären Tour wird eine echte. Vater und Sohn lassen sich im Taxi durch Frankreich kutschieren. Dabei kommt es zu vielen netten Begegnungen mit ebenso schrulligen Personen.



Auf der Pressekonferenz bekennt Gérard Depardieu, dass er sich nicht hinsetzen würde, um Dialoge von Drehbüchern auswendig zu lernen. Das ist offensichtlich auch nicht die Methode seines Partners Benoît Poelvoorde. Die Dialoge der beiden "Instinkt-Schauspieler" sind so gut, dass man zuweilen das Gefühl hat, dem Ergebnis einer Dokumentarfilmkamera zuzuschauen, die zuweilen auch in etwas indiskreten Momenten draufhält. Nicht nur die beiden wecken unser Mitgefühl, sind lustig, Herz erwärmend und voller Zärtlichkeit. So schmeckt denn die lebenspralle Hommage auf edle Tropfen und auf den jeweils armen Tropf, Vater wie Sohn genauso gut wie der namensgebende berühmte Beaujolais "Saint Amour".

Das ist schon die siebente gemeinsame Arbeit des Regie-Duos Benoît Delépine und Gustave Kervern. Schon 2010 hatten sie auf der Berlinale ihren Film MAMMUTH vorgestellt, in dem Gérard Depardieu als Schlachthofarbeiter Serge, mit seinem Motorrad der legendären Marke Münch Mammut ("wie der Herr so's Gescherr") durch Frankreich fährt, um Geld einzutreiben, das ihm diverse Originale schulden. In diesem Roadmovie schmolzen Mensch und Maschine zu einer Einheit zusammen und die Zuschauer dahin, wie auch jetzt wieder in SAINT AMOUR.

KINOSTART in Deutschland: 13. Oktober 2016

Gérard Depardieu auf der Berlinale Pressekonferenz. Auch wenn Gérard Depardieu seit 2013 offiziell russischer Staatsbürger ist – die Steuer war ihm zu teuer – so verkörpert doch kaum ein anderer französisches Lebensgefühl so perfekt wie er. Foto: Peer Kling


Noch schaut das Mittagessen auf sie. Bald ist es umgekehrt. Gérard Depardieu als Vater Jean, rechts und Benoît Poelvoorde als Sohn Bruno, links, genießen französiche Lebensart. Auf dem Tisch schon mal eine Flasche Beaujolais "Saint Amour" zum Einstimmen. Foto: Verleih