BERLINALE 2020 - eine Schlankheitskur zum Geburtstag?

Das drittwichtigste Filmfestival der Welt wird 70 - Die neue Leitung setzt neue Maßstäbe

Von unseren Berlinale-Korrespondenten Peer Kling und Elisabeth Niggemann


Berlinale-Plakat 2020 gestaltet von State - Agentur für Design, Berlin

Karl Lagerfeld hat wie eine Diva geflunkert, was sein Geburtsjahr angeht. Bei Filmfesten ist das anders. Da ist man stolz auf eine möglichst langjährige Tradition. Aber offensichtlich gilt auch hier: „Nur, was sich ändert, bleibt.“ Nach Dieter Kosslick tritt nun eine Doppelspitze das Erbe an, Carlo Chatrian als künstlerischer Direktor und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin.

Wikipedia definiert ein Filmfestival als eine periodisch stattfindende kulturwirtschaftliche Veranstaltung. Kultur und Geld, sind die nicht ein bisschen wie Feuer und Wasser? Jedenfalls haben jetzt mit der neuen Doppelspitze beide Pole, also die Film-Kunst und die wirtschaftliche Seite ihre jeweilige Fachkraft am Ruder des in die Jahre gekommenen Riesen-Kahns BERLINALE. Wir sind auf die künftige Richtung des Festival-Schiffes gespannt. Der passionierte Cineast und frühere Locarno-Chef, Chatrian verspricht dem Festival ein charakteristisch klares Profil. Er hat ein Faible für nonkonforme Filmkunst. Es gilt den sportlichen Spagat zwischen avancierten Filmexperimenten und dem weltgrößten Publikumsfestival zu meistern. Nicht dass auf passioniert, bald pensioniert folgt! Mit 48 ist der Carlo dafür zu jung. Mit Forum, Panorama, Berlinale-Series und Berlinale Shorts stehen zum 70ten vier Sektionen unter neuer Leitung. Dieters Liebhaberprojekt, das Kulinarische Kino gibt's nicht mehr. (Film-) Sternchen gucken, geht noch, aber „Sterne essen“ musst du woanders. Die 2013 gestartete Reihe NATIVe gibt's auch nicht mehr. Die Werke indigener Filmschaffender sollen künftig jenseits einer festen Sektion präsentiert werden. Da wo Wettbewerb draufsteht, ist jetzt auch wirklich nur noch Wettbewerb drin. Die „außer Konkurrenz“-Rosinen entfallen. Dieters besonderes Verdienst war es, als Publikumsfest zu expandieren, man kann schon sagen, zu explodieren. Die „Rosinen“-Filme hatten Zugkraft, auch wenn sie nicht immer süß waren. Die Starlets im Schlepp aber schon.

Der Beginn der Berlinale ist zwei Wochen nach hinten gerückt. Die Konsequenz: Bislang fand die Oscar-Preisverleihung immer nach der Berlinale statt. Jetzt ist es umgekehrt. Es gab früher eine Art Win-Win-Situation. Berlin hat den nominierten Hollywoodfilmen – und ihren Stars – vorab eine glanzvolle Bühne geboten. Im Gegenzug brachte diese „Hollywood-Schaukel“ Glanz in die Hütte. OK, Hochglanz-sauber ist die Berlinale trotzdem. Neue Besen kehren gut. Wurde denn nur konzertant gestrichen und gefegt oder gibt's auch 'was Neues?
Ja, schon. Neu ist die Wettbewerbs-Sektion "Encounters" für ästhetisch und formal ungewöhnliche Werke unabhängiger Filmschaffender. Klingt ziemlich nach Forum. Mehr Bonbon als Bombe? Wir werden sehen und berichten. Maximal 15 Spiel- und Dokumentarfilme ab einer Laufzeit von 60 Minuten sollen eingeladen werden. Drei Preise werden ausgelobt. Damit hat "Encounters" einen ähnlich experimentellen Fokus wie die Sektionen "Un certain Regard" in Cannes und "Orrizonti" in Venedig.
Mit nun 13, anstatt vorher 14, hat die Berlinale immer noch doppelt so viele Sektionen wie die Festivals von Cannes oder Venedig. Auch wenn das kulinarische Kino geplatzt ist, wurde die Berlinale nicht wirklich schlanker.