Berlinale 2020 - Einige Eindrücke aus dem Wettbewerb

Von unseren Berlinale-Korrespondenten Peer Kling & Elisabeth Niggemann

Unsere Berlinale-Korrespondenten Elisabeth Niggemann und Peer Kling am Ort des Geschehens: Im Hyatt finden die Pressekonferenzen mit den Regisseuren und den Schauspielern statt.
Foto: privat

Der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag trägt den Titel Undine. Undine ist mehr als nur ein Mädchen-Vornahme. Undine ist Programm. In der Sage ist Undine ein weiblicher Wassergeist aus der mythologischen Gattung der Nymphen, eine Nixe, eng verwandt mit den Sirenen und auch mit der Loreley. Es gibt eine Erzählung, ein Theaterstück und ein Ballett mit diesem Titel und mit dieser Berlinale nun auch den dritten Film. Berlinale-Dauergast Christian Petzold hat ihn zusammen mit seinem Stammpersonal gedreht. Die Idee spukte dem Team seit dem Dreh-Ende von Transit in den Köpfen herum.
Yella, Jerichow, Barbara, Transit - schon immer hatte Petzold einen Hang zur Mystik, der nun einen (vorläufigen?) Höhepunkt erreicht. Paula Beer spielt Undine. Sie ist Historikerin und erklärt einige Minuten, nachdem ihr Freund sie verlassen hat, an Hand von großen Modellen das Werden der Stadt Berlin, wobei sie besonders die ursprüngliche Sumpflandschaft betont, also ihr eigenes Element, das Wasser. In der Mythologie bringt Undine ihren treulosen Betrüger um und geht dann selbst zurück in die Fluten. Aber Petzolds Undine lässt zunächst Mythologie Mythologie sein und verliebt sich wenige Stunden später wie durch eine Initialzündung in einen Industrietaucher (Franz Rogowski). In der Unterwasserwelt entstehen wunderbare Momente von Zärtlichkeit und Stille, aber auch Momente großer Aufregung. Das märchenhafte Liebesdrama ist toll gespielt, führt so nebenbei in die Berliner Stadtentwicklung ein, visualisiert den aktuellen Stand der Bundesbahn (die Frischverliebten trennen viele Bahn-Kilometer) und erschließt eine Unterwasserwelt, in dem wir unter anderem einem riesigen Wels begegnen, den es wirklich geben soll, wenn auch der Film-Wels eine Computer-Geburt ist. Petzold selbst verehrt den Film 20 000 Meilen unter dem Meer.

Paula Beer in Undine von/by Christian Petzold

Auch in dem Film Siberia - Sibirien von dem 1951 in der Bronx, New York geborenen Abel Ferrara hat ein Fisch das letzte Wort. Auch dieser Film ist mystisch und Sagen-haft, auch wenn die Mythen und Sagen zwar keine Namen haben, aber mit isländischen Hackebeil-Film-Mythen auf Grund ihrer martialischen Brutalität durchaus mithalten können. Ferrara wurde bekannt mit Filmen wie King of New York und Bad Lieutenant. Der Schauspieler Willem Dafoe ist schon lange sein Weggefährte. Mit ihm drehte er kürzlich auch das Biopic Pasolini.
Sibirien steht laut Auskunft des Regisseurs hier lediglich als Metapher für Exil, Einsamkeit, Exotik, Magie und Kälte. Die Schlittenfahrten mit den Huskies sind wunderbar gelungen. Eine zusammenhängende Geschichte darf man nicht erwarten. Vielmehr geht es um die Visualisierung innerer Gedanken und von Träumen, die ja selten zusammenhängend logisch sind. Es geht um Erinnerungen, Visionen und um die Konfrontation mit dem Vater.

Siberia von/by Abel Ferrara

Film ist Geschmacksache
Bei der Berlinale liegt jeden Tag eine Hochglanz-Zeitschrift mit dem Namen Screen aus. Darin gibt es einen Bewertungsspiegel der Wettbewerbsfilme. Sieben internationale Kritiker geben ihr Votum ab. Sie können jeweils 0 bis 4 Punkte vergeben. Es fällt auf, dass die Meinungen sehr auseinander gehen. Bei vielen Filmen geben einige vier Punkte, die anderen nur einen. Mit einem Durchschnitt von 3,1 kommt Undine bislang am besten weg, Siberia mit 1,3 am schlechtesten. In der Pressekonferenz dagegen platzte unser Nachbar fast vor Begeisterung und ein Herausgeber eines eigenen Filmportals meinte, es sei der beste Film, den er jemals gesehen hat. Vielleicht heißt es ja gerade deshalb Film-KUNST. Denn über Kunst lässt sich trefflich streiten.