Berlinale 2018 - „Kleines großes Kino“ aus Paraguay, auch ohne eigene Produktions-Gelder

Von unseren Berlinale-Korrespondenten Peer Kling und Elisabeth Niggemann

Ganz besonders bei der Produktion von Filmen entfaltet der Spruch: „Ohne Moos nichts los“ unerbittlich seine volle Gültigkeit. Bei der Berlinale war dieses Jahr erstmalig ein Film aus Paraguay im Wettbewerb zu sehen. In keinem internationalen Wettbewerb wurde bislang ein Film aus diesem südamerikanischen Binnenstaat gezeigt. In Paraguay, von der Fläche her, so groß wie Deutschland und die Schweiz zusammen, gab und gibt es ganz einfach kein Budget für Filme noch nicht einmal für solche, die die gewünschte politische Richtung propagieren. Dennoch konnte mit Hilfe internationaler Gelder, genauer gesagt durch MEDIA, den Filmförderungstopf der EU „Las herederas“ als paraguayischer Film entstehen. „Die Erbinnen“, so die Übersetzung ins Deutsche, ist ein Film der zwischen den gesprochenen Zeilen und zwischen den gezeigten Bildern verstanden werden will. Vordergründig geht es in diesem verhaltenen Drama um Geld, genauer um die Schulden eines schon etwas älteren Paares, das in diesem Fall aus zwei ungleichen Frauen besteht, Chiquita und Chela. Das geerbte Inventar ihrer gemeinsamen Wohnung müssen sie verkaufen. Jedes einzelne Stück dieser antiken Kostbarkeiten ist mit persönlichen Erinnerungen verbunden. Dennoch kommt die extrovertierte Chiquita wegen Überschuldung ins Gefängnis. Das Bild der kolonial geprägten Bourgeoisie verblasst. Regisseur Marcelo Martinessi wollte, wie er auf der Pressekonferenz erklärt, die Übermacht der Banken verdeutlichen, die eine harmlose Frau einfach einsperren lassen können. In der Haft kann sich die Dame aus guter Gesellschaft den wirklich Kriminellen kaum entziehen. „Ich glaube, wir haben das korrupteste Justizsystem, das man sich nur vorstellen kann“, ergänzt er. Paraguay ist ein Land mit weiten Sumpflandschaften, eben auch im übertragenen Sinne.

Das Leben der introvertierten und passiven Chela ändert sich schlagartig, denn nun ist sie gezwungen, ihre Staffelei und das Haus zu verlassen. Sie muss ab jetzt ihr Leben alleine organisieren. Dabei entdeckt sie für sich völlig neue Möglichkeiten. Der Weg in die Emanzipation ist frei. Die Begegnung mit der jungen und aktiv lebensfrohen Angy (Ana Ivanova) lockt sie aus der Reserve. Chela entdeckt ihre eigenen Sehnsüchte neu. Es sind schon sensible Antennen erforderlich, um als Nichtkenner des Landes die miserablen Zustände nach dem parlamentarischen Staatsstreich im Jahre 2012 als das eigentliche Film-Thema zu erkennen. Die dunklen Farben der Interieurs sind ein Hinweis. Nach der Vorführung schildert eine Journalistin ihr Heimatland dem internationalen Pressepublikum so: „Wir leben in einer Hölle.“

Gefühlt fehlt diesem Filmbeitrag zwar das Zeug zum Kassenschlager und in der Liste der deutschen Filmstarts 2018 fehlt dieser Titel bislang. Das ist schade, denn das stille Drama ist eigentlich voller Hoffnung. Chela bricht aus ihrer melancholisch-depressiven Lethargie aus, durchbricht die Kette, wird frei. Die Darstellerin der Chela, Ana Brun hat keine Schauspielkarriere hinter sich, aber sie sieht in ihrer ersten Filmrolle deutlich Parallelen zu ihrer Wirklichkeit: „Der Film spiegelt mein Leben wider.“ Margarita Irún, die Darstellerin des Gegenparts Chiquita hat fast ein halbes Jahrhundert Schauspielerfahrung, „kaum einen Charakter, den ich noch nicht gespielt habe, aber ich habe vor 40 Jahren aufgehört zu rauchen und fragte mich nun, WIE soll ich für diesen Film die Zigarette halten, wie Kaffee trinken und was wie sagen?“ gesteht sie auf dem Podium.

Foto: Peer Kling

Foto: Peer Kling

Foto: Peer Kling